Interviews über das Leben im Hambacher Forst vor der Räumung im Herbst 2018

Sky

Ich glaube hier zu sein hat immer zwei Seiten. Klar gibt es Ideale und es ist scheiße, dass der Wald gerodet wird und der Tagebau erweitert werden soll, aber es gibt auch eine persönliche Seite. Und auf dieser persönlichen Seite war ich gelangweilt von der Außenwelt, die so weit weg ist von meinen Idealen. Dass alle frei leben können, frei von Hierarchien, Unterdrückung, Ausbeutung und dass dazu nicht nur Menschen gehören, sondern alle, auch Tiere. Ich wache häufig morgens auf und denke „Fuck, was ist wenn die Polizei jetzt kommt“. Das ist nicht schön oder spaßig, aber es gibt wenigstens Hoffnung. Vom Paradies ist dieser bedrohte Ort noch weit entfernt, aber die Menschen hier denken darüber nach wie es noch besser sein könnte, es ist ein endloses Streben. Zum Beispiel wird hier an Sexismus schon viel gearbeitet. Alle reden von „Mensch“ und sagen nicht, „die Frau“ da drüben. Es wird das Wesen wahrgenommen und nicht das Geschlecht, das Aussehen oder irgendwelche Stereotypen, denen man entsprechen sollte. Ein solches Verhalten haben hier schon viele Leute sehr stark abgelegt. Und sobald ich in die Außenwelt komme, denke ich: „Okay krass, was ist denn hier los“.

 

Niemand

Ich bin hier im Wald, weil ich der Meinung bin, dass unser Gesellschaftssystem, in dem wir gerade leben, den Bach runter geht. Zu viele Menschen lassen sich ausbeuten und finden keinen Weg heraus. Ich glaube, man muss diesen Menschen Alternativen vorleben. Dabei geht es nicht nur darum, dass Menschen gut leben können, sondern dass auch Natur und Tiere genauso gleichberechtigt sind. Das Leben im Wald schlägt dabei eine Brücke zwischen all diesen Kämpfen und ist für mich eine wunderschöne Parabel. Auf der einen Seite der Wald, diese Gemeinschaft von Aktivist*Innen, dieses Leben, was so vieles hat, das wir versuchen zu verteidigen und aufzubauen. Und auf der anderen Seite die ausbeuterische, kapitalistische Marktwirtschaft, die auf uns zukommt und alles zerstören wird. Deswegen ist es so wichtig hier zu sein und für den Wald zu kämpfen.

Rotz

Ursprünglich fing es damit an, dass alle Menschen um mich herum studierten und ganz viel Zeit hatten. Ich hatte immer nur das Wochenende und war Freitags meist schon fertig vom Arbeiten und hatte keine Lust mehr etwas zu unternehmen. Ich wollte freier sein und habe meine Arbeit gekündigt. Ich war viel unterwegs und wohne jetzt quasi im Wald. Wie lange ich schon hier lebe, möchte ich nicht sagen, da dies Hierarchien schafft. Weil Menschen die schon länger hier sind, angeblich auch mehr Ahnung haben. Nach einer Weile kennst du den Wald. Du kennst die Bäume und die Formen der Wurzeln. Du kennst die Wege und weißt sogar im Dunkeln wo die dünnen Äste sind und kannst an ihnen vorbeigehen. Im Baumhaus zu schlafen ist etwas Besonderes. Die Baumhäuser wurden unterschiedlich aufgehängt und bewegen sich entsprechend. Manche frei und stark und andere gemeinsam mit den Bäumen. Abends ist es auf jeden Fall oft anstrengend noch hochzuklettern, aber dann ist es angenehmen zu wissen, dass einen hier oben niemand runterholen kann. Wenn man das Seil hochzieht, können einen nur noch die Menschen aus dem Wald über die Walkways besuchen. Außerhalb der ‚eviction Zeit' gibt es außerdem keine Privatbaumhäuser und wir schlafen häufig an unterschiedlichen Orten. Dies wird dann abends abgesprochen und hat mehr einen Charakter von „Alles für Alle“. In den Bäumen gibt es sehr schlaue Eichhörnchen. Diese knappern die Erdnussbutterdosen auf oder schmeißen Gläser vom Baumhaus, weil sie wissen, dass sie dann kaputtgehen. Deswegen stellen viele inzwischen den Eichhörnchen und Haselmäusen einen Opferteller hin, damit sie nicht das Plastik anfressen müssen.

Déntro

Ich bin aus verschiedenen Gründen hier. Einmal um den Wald an sich zu retten und zu schützen, denn es ist einer der letzten ursprünglichen Wälder in Deutschland. Sozusagen eine Natur-Reliquie. Aber ich bin auch hier, um die Leute, die schon seit Monaten oder Jahren in den Bäumen leben und das Ganze verteidigen, zu unterstützen. Denn umso mehr Leute im Wald sind, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt der Wald in der Presse und bei der Bevölkerung. Und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er vielleicht irgendwann doch bleiben kann. Außerdem ist der Aufwand den Wald zu räumen für die Polizei größer. Wenn ich nicht hier wäre und mitbekäme, dass der Hambi geräumt wird, dann hätte ich das Gefühl meine Überzeugung verraten zu haben. So habe ich aktiv für den Wald gekämpft und muss mir nicht vorwerfen, dass ich beim Widerstand hätte helfen können.

Mona

Hier im Wald existiert eine andere Lebensart und hier sind meine Menschen, mit denen ich gerne zusammenlebe. Ich wache morgens auf und muss nicht zur Arbeit gehen, sondern suche mir etwas Interessantes zu tun. Mir wird Wissen vermittelt und ich kann auch meines teilen. Das macht Spaß. Und natürlich ist es schön, morgens aufstehen und aus dem Baumhausfenster oder aus der Hängematte in die Baumkronen zu schauen. Wann kann man das sonst schon mal machen. Bei einer Räumung bleiben die Menschen hier. Sie können die Baumhäuser räumen, aber nicht diese Bewegung, die jetzt entstanden ist. Die Menschen bekommen sie hier nicht weg. Hier kann ich aktiv etwas tun und sitze nicht zuhause vor Twitter und dem Fernseher und denke „Oh scheiße da werden Baumhäuser geräumt“. Bei einer Räumung koste ich sie Zeit. Als ich hierher gezogen bin, war mir auch klar, dass das nicht bleibt, sondern dass es irgendwann heißen wird, dass die Baumhäuser weg müssen.

Fuchs

Hier im Wald fühle ich mich richtig wohl, es ist einfach ein richtig nicer Wald. Such so was mal. Das gibt's einfach nicht, das ist wirklich selten. Da braucht man nicht viel Ahnung von Ökologie zu haben. Ganz Deutschland ist voll mit Fichten- und Kiefermonokulturen und Förster schuften sich ab, um da ständig Buchen reinzupflanzen, damit daraus wieder ein Mischwald wird. Und hier, das ist einfach ein richtig schöner gesunder Mischwald. Deswegen tut es mir richtig weh, um den Lebensraum für Wald, Mensch und Tier. Und, dass es gar keine Zurückhaltung gibt, so etwas einfach kaputt zu machen. Denn der Wald könnte auch einfach stehen bleiben. Er bietet ja so viel. Was eine mögliche Räumung oder einen Polizeieinsatz angeht: Was soll schon passieren? Sollen sie einen doch kesseln, sollen sie einen doch mitnehmen, sollen sie doch versuchen die Identität festzustellen. Dann ist das nächste Schlimme was passieren kann, dass sie dich einfach hart verprügeln. Aber irgendwie hab ich da die Erfahrung gemacht, dass so ein Körper doch immer mehr abkann als man denkt.

Muna

Der Wald ist für mich ein wunderschöner Ort, um eine grundsätzliche Kritik am Kapitalismus handfest werden zu lassen. Und dieses Experiment wird hier auf eine tolle Art gelebt und es ist großartig dabei mitzumachen. Die Gemeinschaft im Wald sieht Fehler in dieser Gesellschaft, die von Akteuren wie RWE und den Innenministern gelenkt wird, und versucht eine bessere Lösung zu finden und diese umzusetzen. Sie besteht mehr aus Solidarität als aus Konkurrenz. Die Suche nach Lösungen ist ein spannender Prozess, der auf Konsens, anstatt auf Boshaftigkeit beruht und auf dem Versuch Herrschaften zu überwinden.

Jelka

Hier im Wald kann ich Hand anlegen und aktiv etwas gegen den Klimawandel tun. Ansonsten interessiert mich im Wald, wie hier ‚Lernen' stattfindet und sich Menschen ihre Persönlichkeit bilden. Es ist eine spielerische Art, an diesen Ort gebunden Wissen zu vermitteln. Es ist partnerschaftlich, eher anarchistisch und feministisch organisiert. Es gibt nicht eine Person mit ‚allem' Wissen und dabei ist diese Ortsverbundenheit zugleich sehr international, vielfältig und offen für alle ‚Kulturen'.

 

Tatonka

Der Wald ist eine Besetzung mit den typischen „Auf“ und „Abs“ eines solchen Projekts. Im Wald zu leben hat einen anderen Rhythmus, ein bisschen wie beim Wandern. Man geht früh ins Bett und steht früh auf. Wenn es dunkel ist passiert nicht mehr so viel. Man ist sehr viel mehr mit Infrastruktur beschäftigt, also Wasser holen oder Essen kochen. Damit, dass man morgens auch etwas zum Frühstücken im Baumhaus hat, denn man geht nicht 15m am Seil herab, weil man das Kaffeepulver vergessen hat. Politisch kann es nicht sein, dass Deutschland als eines der reichsten Länder es nicht schafft, sich an Klimaziele zu halten und die Verantwortung auf andere abschiebt. In so einem Land ist die Forschung so weit und man hat schon viele andere Möglichkeiten gefunden wie man fossile Brennstoffe ersetzen kann. Und dann kommen immer wieder diese angeblichen Sachzwänge, warum man weiterhin an Kohle festhalten muss.

Funke

Das Leben im Wald ist zum Teil sehr entspannt. Man hat viel Zeit und kommt mal raus aus dieser Konsumgesellschaft. Weg vom Handy zum Beispiel. Zum anderen Teil ist es auch sehr stressig durch die Polizei, die Räumungen, Durchsuchungen und die ständigen (Fehl-)Informationen. Für mich habe ich gemerkt, wie schön Wälder eigentlich sein können, auch wenn man über längere Zeit in einem solchen lebt. Ich habe entdeckt, dass der Anarchismus tatsächlich funktionieren kann. In erster Linie ist das hier ein Projekt zur Erhaltung des Waldes und den Kampf gegen die Braunkohle, aber es ist auch anarchistisch.